Chacotas Rückkehr

 

Schwarze Festung, 17.Januar 1526

 

Unendlicher Schmerz . . . .

Und was ich so lange ersehnte, ist nun da: Friede. Der Tod nimmt mir die Last, ich bin frei von Schuld, Trauer, Begierde. Meine Seele strebt zu VESHNA. Ich gehe ein in die Stille der göttlichen Gnade.

Doch nur für einen Augenblick. Mein Herz schreit auf, Dunkelheit umgibt mich. Und plötzlich ist dort wieder Gedanke, Empfinden, Wille. Wie durch dichten Nebel erkenne ich die Lebenden, erahne ihre Gedanken und kann mich dennoch kaum erinnern. Wer sind sie? Dann, immer deutlicher zu spüren, ihr Leben, ihre Verzweiflung. Ich entsinne mich dieser Gefühle und eine Woge ungeahnten Schmerzes überkommt mich. Shutha! Ich muss sie den Händen des mir verhasstesten Geschöpfes überlassen. Liebe, Trauer, Qual durchströmen mich und dann erklingt eine Stimme in meinem Universum, einzelne Worte . . . er hat noch eine Aufgabe . . . es gibt eine Möglichkeit . . . es ist seine Entscheidung . . .

Ein Stein . . . ein Stein? Ich zögere, VESHNA! Doch der Frieden ist zerstört, Einsamkeit durchdringt mich.

Und ich kehre in die Welt zurück.

 

Kolvar rät der Gruppe, die nun ohne Führer ist, zuerst nach Euth zurückzukehren, dann werde er Fachtna und auch Aaron und Hennet, die beschlossen haben, Fachtna in die Vergangenheit zu begleiten, zu ihrer neuen Aufgabe begleiten. Aber vorher müsse er noch etwas erledigen. Auf dieser letzten Reise versucht Kolvar, Chacota etwas zu sagen

 

Gespräch mit Kolvar über Götter

„Was liebst du an den Göttern? Was glaubst du, was VESHNA liebt, wenn du kämpfst? Er liebt es ebenso, wenn Chuor wehrlose Bauern töten wie die Euther Ritter in ihrer schimmernden Rüstung. Ihm geht es nur um den Kampf, den Krieg! Überlege, was es ist in dir, der Glaube. Es ist etwas sehr Starkes, aber vielleicht ist es nicht in VESHNA verankert, sondern integraler Bestandteil deines Selbst. Warum sonst sollten alle Menschen dir immer ihr Leben anvertraut haben? Ich kann Götter nicht mehr anbeten, ich habe zu viele von ihnen kennengelernt, sie sind sterblich. Forsche in dir, was dich ausmacht und worauf dein Glaube basiert.“ Chacota muss lange über Kolvars Worte nachdenken.

„Was meint er damit, dass mein Glaube etwas sei, was unabhängig von VESHNA existieren könne? Was mein Glaube beinhalte? Der Glaube, dass ein gutes Leben, ein wirklich gutes und nur dieses mich in die Hallen des ewigen Friedens führen wird. Nicht die Freude am Kampf läßt mich allein das Schwert führen, das Wissen um die Notwendigkeit und das endgültige Wissen um meinen Platz in dieser Welt sind es. Aber warum sollte dies nicht auch in einer Welt ohne Götter Gültigkeit besitzen, tue ich all dies nur um vor VESHNA zu bestehen oder ist es Teil meines Wesens wie Kolvar andeutete?“

 

Das neue Leben

Die Gruppe kehrt auf Aarons Gebilde nach Euth zurück, den Stein, in dem Chacotas Geist ruht, lassen sie in seinem Geburtshaus zurück. Doch keiner der Freunde erwähnt Enavia gegenüber, welches Vermächtnis er beinhaltet. Kolvar sagt ihr nur, dass der Stein in einigen Tagen von jemandem abgeholt werde. Und so verbringt Chacota tatsächlich noch einmal einige Tage in Euth; er teilt sich niemandem mit.

Am dritten Tag erscheint unerwarteter Besuch in Euth, Atizar betritt das Haus der de Espadas. Er begrüßt seine Mutter, dann blickt er sich um: “Es ist etwas abgegeben worden für mich. Ah, da ist es ja!“ Er nimmt den Stein mit in sein Haus, doch noch immer wechselt er kein Wort mit Chacota. Erst am Abend nimmt er ihn in mit in sein Arbeitszimmer, wo bereits zwei Männer auf ihn warten. Es sind Thadoll und Arbin, die Wegbegleiter Atizars. Und nun berichtet Atizar, Kolvar habe ihn gebeten, Chacota zu helfen, einen neuen Körper zu bekommen, wenn sein Geist diese Welt tatsächlich noch nicht verlassen könne. Thadoll stöhnt, als er hört, wem sie helfen sollen: „Chacota! Der Spinner!“ Doch Atizar erwidert gereizt: „Das ist nicht sein Name, er hat einen richtigen Namen! Nenne ihn Satres.“ Und zum ersten Mal erhebt Chacota seine Geisterstimme, bestimmt entgegnet er: „Nein, Thadoll hat Recht, ich bin Chacota.“ Atizar blickt ihn nur an, Widerspruch im Blick. Und dann überlegen die einstigen Gegner, wer Chacota ein Geschenk von solcher Größe machen könnte. Schließlich wählt sich Chacota aus den Vorschlägen einen heraus - die Drachen. Arbin erschafft ein Gebilde und die vier brechen nach Osten auf.

 

Atizar fragte mich: „Wie ist es gekommen, dass dein Geist, nachdem dein Körper gestorben ist, noch in dieser Welt existiert. Was hielt dich?“ Und leise, kaum zu hören: „Wieder etwas, was du mir voraus hast.“

Was soll ich ihm sagen, ausser der einzigen Wahrheit, die es für mich gibt? „Da ist noch etwas, was mich an diese Welt bindet. Ein Name, der blieb, als alles andere ging.“

Arbin murmelt: „Mein Gott, er ist verliebt!“ und Atizar stöhnt auf: „Doch nicht noch deine alte Liebe! Nitana!“ Doch Chacota erwidert: „Nein, es gibt da jemanden anderen.“ Und berichtet von Shutha, aber auch der Schwangerschaft Bircas und von Admeni. Atizar blickt ihn aufmerksam an: „Da hast du dir ja die richtigen Gegner ausgesucht . . . doch was war es für ein Gefühl, wie ist es jetzt?“ Doch Chacota schweigt, zu unmöglich ist es, über diesen Augenblick zu sprechen.

 

Dann wachsen vor ihnen die Drachenberge in den Himmel, doch die dort lebenden Menschen verschliessen ihre Türen und Herzen vor ihrer Bitte um Führung. Schließlich zeigt ihnen einer den Weg durch das Gebirge, ein komischer Kauz, er führt sie zu einer der Drachenhöhlen, das Tor schwingt auf, ein riesiger Drachenkopf blickt heraus und fragt, was sie von ihm wollten. Chacota materialisiert und trägt seinen Wunsch vor. Der Drache fragt, was er denn zu geben hätte - mehr als seine Taten und sein Wort kann Chacota nicht bieten. Aber Atizar bestätigt die Worte seines Bruders. Der Drache fragt, ob er für ihn töten würde, Chacota sagt, es käme darauf an, wen und wie. Der Drache nickt zustimmend, dann bittet er Chacota hinein und verschwindet, kehrt am Abend mit den Kadavern von Schafen und anderen Tieren wieder, formt daraus einen menschlichen Körper, erbittet einen Tropfen Blut von Chacota, bläst darauf und wartet. Am nächsten Morgen dann liegt ein menschlicher Körper in dem Becken, seinem alten Körper gleichend, doch frisch und unverbracht, ohne die Narben und Tätowierungen, die sein altes Leben zeichneten. Der Drache fordert ihn auf, davon Besitz zu nehmen. Und wieder ist dort nichts als Schmerz, als er in die körperliche Welt zurückkehrt, er tritt aus der Drachenhöhle heraus, nackt und rein.

Chacota, am 6. Februar 1626 wiedererweckt, die Spuren seiner bestandenen Kämpfe getilgt, keine Narbe, keine Tätowierung, nur sein Schildbein erinnert an VESHNAs Strafe.

 

Auf dem viele Tage dauernden Rückflug fragt Arbin Chacota: „Sag mal, ich habe da Geschichten aus Euth gehört, über deine Vergangenheit, den Prozess und noch anderes, was ist da denn dran?“ Chacota ist misstrauisch, warum will Arbin dies wissen? „Hat euch Atizar nicht längst alles berichtet über mich?“ Arbin stöhnt verzweifelt auf: „Nein, hat er nicht! Überlege doch endlich einmal, was bedeutet deine Existenz für Atizar? Alleine dadurch, dass du sein älterer Bruder bist hast du sein Leben beeinflusst, damals wie heute. Welche Möglichkeiten hatte Atizar denn zu entscheiden, welchen Lebensweg er einschlagen will? Nachdem du ihm in allem vorangeprescht bist, Lieblingssohn, Paladinschüler. Dann deine Flucht, die Schande für die Familie, Torneos Wut und Verzweiflung.“ Chacota ist vor den Kopf gestossen, noch nie hatte er seine Beziehung zu Atizar in diesem Licht gesehen. Doch Arbin ist noch nicht fertig: „Sieh es von Atizars Standpunkt, du hast immer alles im Leben bekommen, Enavia liebt dich, VESHNA und das Urteil in Euth haben dich frei gesprochen und nun hast du ein zweites, neues Leben vor dir. Und die Verantwortung für die Famile hast du auf Atizars Schultern abgeladen.“ Arbin schweigt eine Zeit, dann sagt er leise: „Jüngere Brüder haben es sehr schwer, welche Wege wären ohne dich für Atizar alle frei gewesen? Dass du noch lebst, macht es nicht gerade einfacher. Aber ändern kannst du daran nichts.“ Dann läßt er Chacota alleine. Dieser ist wie erstarrt, doch zu viel hat er erlebt, als dass er das auf ihn wartende Gespräch scheuen würde und so setzt er sich zu Atizar. Atizar beginnt nach einer Weile leise zu sprechen - ahnt er, was Chacota auf der Seele liegt?

„Ich war schon damals klüger als du, meine einzige Chance neben deinem Bild zu bestehen, war, mich vom Weg des Kampfes abzuwenden. Es war unfair von dir, mich damals wieder und wieder zu fordern, wo du wußtest, dass ich verlieren würde.“ Und dann: „Du hast mir keine Wahl gelassen. Es wäre einfacher, wenn du tot wärst.“ Chacota kann nicht antworten, Gedanken überschwemmen ihn: War ich früher wirklich ein solch verblendeter Junge, nur den Schein guter Taten liebend? Ich wage nicht, Atizar oder Ascabar zu fragen. Erst nach einer ganzen Weile erklingt seine Stimme: „Warum hast du mir dann geholfen?“

„Weil du zur Familie gehörst.“

„So hast du mir aus Pflichbewußtsein geholfen?“

„Ja.“ Und nach einer Pause: „Eine Bitte habe ich noch. Wenn wir diese Mission beendet haben, dann möchte ich, dass der Kontakt zwischen uns abbricht. Es ist besser für mich.“ Dann sagt Atizar nichts mehr. Atizar möchte, dass ich mich aus seinem Leben zurückziehe, welch schwere Worte, ich habe noch immer nicht begriffen, was ich zerstört habe. Er fühlt sich für mich verantwortlich und schuldig an meiner Tat. Ich kann mein restliches Leben führen wie ich will, dieser Makel wird auf ewig auf unserer Familie liegen. Doch er darf sich nicht für mich verantwortlich fühlen! Aber wieso nicht? Ich habe ihm die Familenlast aufgebürdet, würde ich nicht genauso handeln an seiner Stelle? Wie kann ich es wieder gutmachen, unseren Namen reinwaschen?

 

Und so tritt am Ende der Reise, vor den Toren Xpochs, Chacota noch einmal zu seinem Bruder und bietet ihm sein altes Leben an: „Ich bin Chacota!!!“ Und Atizar versteht; er erwidert leise: „Ich bin Atizar. Und du bist Satres, mein Bruder.“

Dann ist Chacota alleine.